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Krise bei Thames Water: Ursachen, historische Entwicklung und die Rolle der Privatisierung

Thames Water, der größte Wasserversorger Englands, befindet sich in einer schweren finanziellen und betrieblichen Krise. Das Unternehmen, das rund 15–16 Millionen Menschen in London und Umgebung versorgt, stand bereits im Jahr 2023/2024 vor dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit und sogar einer möglichen Verstaatlichung. Gleichzeitig sieht sich Thames Water mit Umweltskandalen wie massenhaften Abwassereinleitungen in Flüsse sowie maroden Leitungsnetzen konfrontiert. Diese Entwicklungen werfen dringende Fragen auf: Sind die heutigen Probleme auf die Privatisierung in den späten 1980er Jahren zurückzuführen, oder hätten sie auch unter staatlicher Führung entstehen können?

Diese Analyse beleuchtet die wirtschaftliche Entwicklung von Thames Water seit der Privatisierung 1989, die steigende Verschuldung und Dividendenpolitik, die Rolle der Regulierungsbehörde Ofwat, die Folgen von Unterinvestitionen für Umwelt und Infrastruktur, die Einflussfaktoren der Eigentümerstruktur sowie die aktuellen Debatten über eine mögliche Re-Kommunalisierung des Wasserbetriebs. Abschließend werden die Argumente von Befürwortern und Gegnern der Privatisierung gegenübergestellt und bewertet, ob die strukturellen Probleme systembedingt mit der Privatisierung zusammenhängen oder ob vergleichbare Schwierigkeiten auch in öffentlicher Hand wahrscheinlich gewesen wären.

Historischer Hintergrund der Privatisierung

Die britische Wasser- und Abwasserwirtschaft wurde 1989 unter Premierministerin Margaret Thatcher privatisiert. Vor der Privatisierung waren die regionalen Wasserbehörden staatlich und finanziell oft vernachlässigt: Jahrzehntelange Unterinvestitionen hatten zu schlechter Wasserqualität, verschmutzten Flüssen und mit Abwässern belasteten Stränden geführt. Die Regierung versprach sich von der Privatisierung eine neue Ära von Effizienz und Investitionen, um die alternden viktorianischen Rohrnetze zu modernisieren und strenge EU-Umweltstandards (z. B. für sauberes Trinkwasser und Badegewässer) erfüllen zu können. Zur Vorbereitung der Privatisierung wurden die Wasserunternehmen schuldenfrei gestellt – alle Verbindlichkeiten wurden getilgt und hohe Anfangsinvestitionen flossen aus öffentlichen Mitteln, um die Attraktivität für Investoren zu erhöhen.

Auch Thames Water startete somit um 1990 praktisch schuldenfrei in die Privatwirtschaft. In den ersten Jahren nach 1989 wurde das Unternehmen an der Börse notiert, bis es 2001 vom deutschen Energiekonzern RWE übernommen wurde. Doch dieser Eigentümerwechsel sollte nur der Auftakt zu umfangreicheren Veränderungen sein: 2006 verkaufte RWE Thames Water für £4,8 Mrd. an ein Konsortium unter Führung der australischen Bank Macquarie. Diese Periode markiert einen Wendepunkt in der Unternehmensentwicklung, insbesondere was Verschuldung und Dividenden angeht.

Wirtschaftliche Entwicklung, Verschuldung und Dividendenpolitik seit 1989

In den gut drei Jahrzehnten seit der Privatisierung hat sich Thames Water von einem schuldenfreien öffentlichen Versorger zu einem hoch verschuldeten privaten Unternehmen gewandelt. Kritiker bezeichnen das Unternehmen heute als „Investmentvehikel“ privater Eigner, das die höchste Schuldenlast der Branche trägt. Tatsächlich beläuft sich der Schuldenstand von Thames Water aktuell auf rund £14–15 Mrd. – eine Summe, die etwa ein Viertel der gesamten £60 Mrd. Schulden aller privatisierten Wassergesellschaften in England ausmacht. Damit liegt die Verschuldungsquote (Gearing) von Thames Water bei ca. 80–84 % (Schulden im Verhältnis zum Kapitalwert), deutlich über der von Ofwat empfohlenen Maximalquote von 60 %. Über die Hälfte dieser Schulden ist zudem inflationsindexiert, was angesichts steigender Inflation zu stark wachsenden Zinszahlungen geführt hat.

Ein wesentlicher Treiber dieser Verschuldung war die aggressive Dividendenpolitik früherer Eigentümer, insbesondere während der Ära Macquarie (2006–2017). Macquarie und Co-Investoren verfolgten von Anfang an das Muster, gegen die Vermögenswerte Kredite aufzunehmen, um hohe Ausschüttungen zu finanzieren. So zahlte Thames Water 2007 eine Dividende von £656 Mio., obwohl der Gewinn im selben Jahr nur £241 Mio. betrug. In den 11 Jahren unter Macquarie wurden insgesamt £2,8 Mrd. an Dividenden ausgeschüttet. Das entspricht rund 40 % der gesamten Dividenden (£7 Mrd.), die Thames Water seit 1990 an seine Anteilseigner gezahlt hat. Durchschnittlich lagen die jährlichen Dividenden unter Macquarie fünfmal höher als nach 2017, als Macquarie seine letzten Anteile verkaufte. Während Macquaries Eigentümerschaft verdreifachte sich zudem die Verschuldung von £3,2 Mrd. (2006) auf etwa £10,5 Mrd. (2017). Mit anderen Worten: das Unternehmen nahm enorme Kredite auf, nicht primär um zu investieren, sondern um die Anteilseigner zu bedienen. Branchenanalysen zufolge wurden die Investitionen nämlich fast vollständig aus laufenden Kundeneinnahmen finanziert, während die aufgenommenen Kredite letztlich zur Dividendenzahlung verwendet wurden. Insgesamt wurden in England seit 1989 etwa £66–72 Mrd. als Dividenden an Wasserkonzern-Eigner ausgeschüttet – in derselben Größenordnung wie die angehäuften Gesamtschulden (~£60 Mrd.).

Nach 2017, unter den neuen Eigentümern, wurden keine Dividenden an externe Anteilseigner mehr gezahlt. Allerdings floss weiterhin Geld in Form von „internen Dividenden“ an die Holdinggesellschaften, z. B. um Schuldendienste dort zu leisten. So überwies Thames Water im Geschäftsjahr 2021/22 etwa £37 Mio. an interne Dividenden an die Muttergesellschaft Kemble Water. Ofwat macht dabei ausdrücklich keinen Unterschied zwischen externen und internen Ausschüttungen – beides sind letztlich Abflüsse, die dem Versorgungsbetrieb Mittel entziehen. Erst 2023 griff Ofwat regulierend ein und untersagte leistungsschwachen Wasserversorgern Dividendenausschüttungen. Gegen Thames Water verhängte die Behörde im Dezember 2024 eine Strafe von £18,2 Mio. und verlangte die Rückzahlung von £131 Mio. bereits erfolgter Dividenden (intern wie extern), um dieses Geld den Kunden zugutekommen zu lassen.

Die Folgen der jahrelangen Finanzpolitik zeigen sich nun drastisch: Thames Water ist hoch verschuldet, aber unterinvestiert, und muss einen beträchtlichen Teil der Kundenentgelte für Zinsen und Schuldentilgung aufwenden. Schätzungen zufolge fließen rund 20 % der Wassergebühren der Kunden in England allein für Zinszahlungen und Gewinne der Kapitalgeber ab. Diese Belastung engt den finanziellen Spielraum für nötige Infrastrukturinvestitionen erheblich ein – ein zentraler Faktor der aktuellen Krise.

Eigentümerstruktur und strategische Entscheidungen

Die Eigentümerstruktur von Thames Water hat sich seit der Privatisierung mehrfach gewandelt, was erheblichen Einfluss auf strategische Entscheidungen hatte. Nach der Phase als börsennotiertes Unternehmen und der Übernahme durch RWE (1990er bis 2006) dominierte ab 2006 die Macquarie-Gruppe als Haupteigentümer. Macquarie, ein australischer Infrastrukturinvestor, ist berüchtigt für seine stark renditeorientierten Geschäftsmodelle. In der Tat wird Englands Wassersektor seit Mitte der 2000er Jahre zunehmend von Finanzinvestoren geprägt, die komplexe Firmenkonstrukte nutzen, um stabile Versorgungsinfrastrukturen in renditeträchtige Finanzprodukte zu verwandeln. Thames Water wurde zu einem Paradebeispiel für diese „Financialisierung“: Die Besitzer richteten ein verschachteltes Netz von Zweckgesellschaften ein und bedienten sich eines Whole-Business-Securitisation-Modells, bei dem die künftigen Erlöse aus dem Wassergeschäft als Sicherheit dienen, um Anleihen aufzunehmen. Mit Hilfe dieser Struktur konnten die Investoren maximale Schulden auf das Unternehmen laden, um zugleich erhebliche Beträge als Dividenden und Gebühren aus dem Konzern herauszuziehen. Kritiker argumentieren, dass Thames Water unter dieser Finanzarchitektur zu einer „Cash Cow“ für Investmentfirmen und Private-Equity-Fonds degradiert wurde.

Nach dem Ausstieg Macquaries 2017 veränderte sich die Eigentümerstruktur erneut: Heute ist Thames Water im Besitz eines Konsortiums von neun institutionellen Investoren. Größter Anteilseigner mit rund 32 % ist der kanadische Pensionsfonds OMERS, gefolgt von der britischen Universities Superannuation Scheme (USS) mit etwa 20 %. Daneben halten der Abu Dhabi Investment Authority (Staatsfonds aus den VAE), der China Investment Corporation (Staatsfonds Chinas), ein weiterer kanadischer Fonds, der britische BT-Pensionsfonds sowie einige kleinere Investoren Anteile von jeweils unter 10 %. Diese Eigentümer sind über die Holding Kemble Water organisiert, die als Zwischengesellschaft fungiert. Auffällig ist, dass ein Großteil der Anteile ausländischen Investoren gehört – Schätzungen zufolge befinden sich rund 72 % der englischen Wasserwirtschaft in der Hand von Offshore-Investoren, darunter private und staatliche Fonds, Banken, multinationale Konzerne und Milliardäre außerhalb Großbritanniens. Im Falle von Thames Water profitieren also u. a. ausländische Staatsfonds und Pensionskassen vom britischen Wasserverbrauch, während Risiken und Folgekosten am Ende heimischen Kunden und dem Staat zufallen.

Die Governance-Strukturen solcher Konsortien sind komplex und für Außenstehende intransparent („murky“). Es existieren zahlreiche verschachtelte Ebenen – im Fall von Thames Water wurden bis zu sieben Holdinggesellschaften zwischen dem operativen Geschäft und den Endkunden gezählt. Diese Konstruktion erschwert die Rechenschaftspflicht: Gelder, die als “Dividende” das operative Unternehmen verlassen, sind kaum nachzuverfolgen, verschwinden aber definitiv aus dem System der Wasserversorgung. Strategische Entscheidungen – etwa über Investitionsbudgets, Schuldaufnahme oder Ausschüttungen – werden letztlich auf Ebene der Eigentümer gefällt, deren primäres Interesse die Maximierung der Rendite ist. So hat sich gezeigt, dass insbesondere während Macquaries Ägide viele Entscheidungen (z. B. hohe Verschuldung, verzögerte Instandhaltung) durch den Wunsch getrieben waren, kurzfristig Kapital auszuschütten. Auch später weigerten sich die jetzigen Anteilseigner lange, frisches Eigenkapital nachzuschießen, solange die erwartete Rendite nicht attraktiv genug erschien. Diese Kapitalzurückhaltung der Investoren trug wesentlich zur jüngsten Krise bei: Im März 2024 verweigerten die Gesellschafter die zugesagte Kapitalspritze von £500 Mio., da sie die regulatorischen Bedingungen als „untragbar” bezeichneten. In der Folge geriet sogar die Holding Kemble Water in Zahlungsschwierigkeiten und konnte eine fällige Schuld von £190 Mio. nicht bedienen – die Muttergesellschaft drohte zu kollabieren, während Thames Water als „ring-fenced“ operatives Unternehmen formal getrennt weiterlaufen sollte.

Zusammengefasst haben die Eigentümerstruktur und -strategie von Thames Water seit der Privatisierung stark auf finanzielle Optimierung zugunsten der Anteilseigner abgezielt. Dies ging oft zu Lasten langfristiger Investitionen in die Netze und der betrieblichen Resilienz. Die geografisch verstreute, renditeorientierte Eignerschaft hatte wenig Anreiz, Umwelt- und Infrastrukturprobleme mit Nachdruck anzugehen, solange kurzfristig Gewinne abgeschöpft werden konnten.

Themse-Wassereinlass für den Queen Mary Reservoir (Foto: James Emmans/CC BY 2.0)

Rolle der Regulierungsbehörde Ofwat

Ofwat (Office of Water Services) wurde im Zuge der Privatisierung als unabhängiger Regulator für die Wasserwirtschaft in England und Wales geschaffen. Seine Aufgabe besteht darin, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Verbraucher (erschwingliche Preise, gute Servicequalität) und der Investoren (angemessene Renditen) zu schaffen, während gleichzeitig Umweltvorgaben und Investitionserfordernisse berücksichtigt werden. In der Praxis gerät Ofwat dabei zunehmend in die Kritik, seine Rolle nicht effektiv erfüllt zu haben.

Historisch wird Ofwat vorgeworfen, zu lasch und investorenfreundlich agiert zu haben. Über Jahrzehnte erlaubte das Regulierungsmodell den Unternehmen hohe Verschuldung und großzügige Ausschüttungen, ohne genügend Vorsorge für Instandhaltung und Ausbau der Infrastruktur zu treffen. Ein flawed framework of incentives – ein fehlerhaftes Anreizsystem namens „managed price system“ – habe es den Eignern ermöglicht, Dividenden über die Instandhaltung zu stellen. Ofwat setzte zwar alle fünf Jahre Obergrenzen für Verbraucherpreise fest und forderte Effizienzgewinne, doch bei der Finanzstruktur der Unternehmen griff die Behörde wenig ein. So konnten z. B. Schuldenquoten von 80–85 % entstehen, obwohl Ofwat selbst 60 % als Richtschnur ansieht. Auch sanktionierte Ofwat lange Zeit exzessive Dividendenauszahlungen nicht. Im Gegenteil, das Wasserwirtschaftsgesetz von 1991 schreibt Ofwat sogar vor, für „angemessene Renditen auf das eingesetzte Kapital“ der Betreiber zu sorgen. Dieses gesetzliche Mandat limitiert Ofwats Möglichkeiten, die Interessen der Verbraucher durchzusetzen – theoretisch sollen Wettbewerb und Vergleichsmarkt die Effizienz sichern, doch tatsächlicher Wettbewerb fehlt, da es sich um regionale Monopole handelt.

In den letzten Jahren geriet Ofwat allerdings selbst unter öffentlichen und politischen Druck, gegen die Missstände vorzugehen. Insbesondere der Sewage Scandal – die Enthüllung millionenfacher Einleitungen ungeklärter Abwässer in Flüsse und Küstengewässer – brachte Ofwat in die Defensive. Erst als die Empörung über diese Umweltverschmutzung 2022/2023 stark zunahm, begann Ofwat, die Wurzel des Problems – jahrzehntelange Unterinvestitionen – entschiedener anzugehen. Die Behörde verschärfte die Auflagen: Seit April 2023 dürfen schlecht performende Wasserunternehmen keine Dividenden mehr ausschütten. Zudem installierte Ofwat bei Thames Water einen unabhängigen Kontrolleur, um die Finanzplanung engmaschig zu überwachen. Im Dezember 2024 nutzte Ofwat erstmals neue Befugnisse, um Bonuszahlungen an Manager bei sechs Wasserfirmen (darunter Thames) zu untersagen und „ungerechtfertigte“ Ausschüttungen zurückzufordern. Diese Reaktion kann jedoch als „too little, too late“ gewertet werden – nach Jahrzehnten der lauen Aufsicht stand Thames Water da bereits vor dem Kollaps.

Kritiker sprechen von einer teilweisen „Regulatory Capture“ Ofwats durch die Industrie. Beispiele hierfür sind personelle Verflechtungen: So wurde die ehemalige Ofwat-Chefin Cathryn Ross (2013–2017) später Direktorin bei Thames Water und fungierte 2023 sogar als interimistische Co-CEO des Unternehmens. Ein solcher Drehtüreffekt erschwert eine strenge, unabhängige Kontrolle. Die Folge dieser regulatorischen Schwäche sieht man aus Sicht von Beobachtern in der heutigen Situation: Hohe Schulden, marode Netze und enttäuschte Kundenvertrauen weisen auf ein Versagen der Aufsicht hin. John McDonnell, ehemaliger Schatzkanzler im Labour-Schattenkabinett, formulierte es scharf: „Dreißig Jahre Regulierung haben kläglich versagt.“

Allerdings ist das Bild nicht ganz einseitig. Die aktuelle Ofwat-Führung argumentiert, man stehe vor einem Dilemma: Einerseits müssten die Kundentarife erschwinglich bleiben; andererseits erfordere die Sanierung der Netze enorme Investitionen, die ohne höhere Renditen kein privater Investor finanzieren wolle. Ofwat sieht sich also nun der Aufgabe gegenüber, gleichzeitig die Infrastruktur zu retten und das Vertrauen von Investoren zu gewinnen – ein Balanceakt. Im jüngsten Preis- und Investitionsplan (2025–2030) hat Ofwat daher zugestimmt, deutliche Gebührenerhöhungen zuzulassen, allerdings geringer als von Thames Water gefordert. So dürfen die Wasserrechnungen in London bis 2030 um rund 35 % steigen (auf durchschnittlich £588 pro Haushalt jährlich), während Thames ursprünglich 40 %+ beantragt hatte. Dies soll Mehreinnahmen für Investitionen schaffen, stellt aber Haushalte vor Mehrbelastungen in einer Zeit hoher Lebenshaltungskosten. Die Anteilseigner monieren wiederum, die genehmigte Verzinsung des Eigenkapitals von etwa 5,1 % sei zu niedrig – man habe ~6 % verlangt, analog zu Energieregulierten Netzen. Hier zeigt sich das Kernproblem: Ofwat muss im Grunde die Quadratur des Kreises leisten, um sowohl die öffentliche Daseinsvorsorge zu sichern als auch private Geldgeber zu halten. Die bisherigen Erfahrungen legen nahe, dass dieser Spagat in der derzeitigen Struktur schwer gelingt.

Umweltprobleme, Abwassereinleitungen und Unterinvestitionen

Die Krise von Thames Water ist nicht nur finanzieller Natur, sondern manifestiert sich auch in gravierenden Umwelt- und Serviceproblemen. Jahrzehntelange Unterinvestitionen in die Infrastruktur haben zu maroden Anlagen geführt, was sich in einer Vielzahl von Skandalen äußert:

  • Lecks und Wasserverluste: Thames Water hat die höchste Rate an Rohrleckagen in England. Täglich gehen Millionen Liter Trinkwasser durch undichte Leitungen verloren. Insgesamt verloren englische Wasserunternehmen 2022 über eine Billion Liter Wasser durch Lecks – ein Umstand, den Ofwat als inakzeptabel kritisiert. Trotz Reduzierung der Leckagen seit den 1990ern bleibt Thames Water hier Negativ-Spitzenreiter.
  • Abwassereinleitungen in Gewässer: Besonders skandalträchtig sind die häufigen Einleitungen von ungeklärtem Abwasser in Flüsse und Küstengebiete. Wenn das viktorianische Kanalsystem bei Starkregen überläuft (weil Schmutzwasser und Regenwasser oft im selben System geführt werden), werden überschüssige Abwässer ins Freie abgelassen. In den letzten Jahren kam ans Licht, dass diese Praxis systematisch und teils auch ohne extreme Wetterlagen angewandt wurde, um Kosten für Speicherkapazitäten und Kläranlagenausbau zu sparen. Thames Water geriet ins Visier der Umweltbehörde (Environment Agency) und ist Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen wegen mutmaßlich illegaler Abwasserdumping. Die Umweltleistung der neun englischen Wasserfirmen insgesamt wurde von der Behörde als „die schlechteste seit Jahren“ bezeichnet. Die Öffentlichkeit reagierte mit Empörung, Medien sprachen von einer „Sewage Scandal“. Dieses wachsende Bewusstsein übte indirekt Druck auf Ofwat aus, stärker gegen die Ursachen – sprich fehlende Investitionen in Klärkapazitäten – vorzugehen.
  • Kläranlagen und Flussqualität: Marode Klärwerke und unterdimensionierte Kanalnetze führten zu einer Verschlechterung der Flusswasserqualität. Einst totgeglaubte Flüsse wie die Themse hatten zwar nach Privatisierung zunächst eine ökologische Erholung erlebt (Fische kehrten zurück), doch zuletzt drohte durch Überlastung der Anlagen wieder ein Rückschritt. Thames Water musste in mehreren Fällen Kunden über Stunden oder Tage die Wasserversorgung abstellen, weil die Wasseraufbereitung nicht Schritt hielt – ein weiterer Hinweis auf fehlende Reserven und Investitionen.

Ursache dieser Umweltprobleme ist ein Investitionsstau, der durch die Dividendenorientierung der Vergangenheit verschärft wurde. Während Milliardensummen an Gewinne abgeschöpft wurden, blieben dringend nötige Projekte liegen: Seit der Privatisierung wurden etwa 25 Reservoirs verkauft und nicht ersetzt, Kläranlagen modernisierte man unzureichend, und das Leitungsnetz alterte weiter. Professor David Hall (Uni Greenwich) stellte fest, die privaten Betreiber hätten “kein zusätzliches Eigenkapital seit der Privatisierung eingebracht” – per Saldo wurde kein frisches Geld der Anteilseigner investiert, sondern Geld entnommen. Anders gesagt: Die gesamten Infrastrukturverbesserungen wurden aus Kundenentgelten (und öffentlichen Startsubventionen) finanziert, nicht aus Risikokapital der Eigentümer. Hall argumentiert, dass die Unternehmen sich immer weiter verschulden, nur um hohe Dividenden zu zahlen – auf Kosten der Substanz. Dieses Muster rächt sich nun in Form von Umweltproblemen.

Exemplarisch ist der Fall Thames Water: Unterinvestition führte zu maroden Rohren und ungenügenden Abwasseranlagen, was wiederum zu Rekordpegeln an Leckagen und Abwassereinleitungen führte. Die scheidende CEO Sarah Bentley (die 2023 nach dem öffentlichen Aufschrei über Missstände zurücktrat) räumte ein, dass „jahrzehntelang nicht genug investiert“ wurde und aggressive Sparpolitik betrieben wurde. Die sichtbaren Symptome – dauerhaft undichte Netze, regelmäßige Gewässerverunreinigungen, ineffiziente Kläranlagen – sind also eng mit den strategischen Prioritäten (Dividenden vor Investitionen) in der Ära der Privatführung verbunden. Selbst Regierungsvertreter wie Michael Gove konstatierten, Thames Water habe seine Kunden „jahrelang ausgenutzt“; man habe Gewinne entnommen statt zu investieren. Diese Unterlassungen münden nun in potenziell enormen Nachholinvestitionen: Thames Water schätzt, dass es über £24 Mrd. bis 2030 investieren müsste, um Lecks zu beheben, die Abwasserentsorgung zu verbessern und das System klimafest zu machen. Dies zeigt die Größenordnung des Investitionsdefizits, der sich über die Jahrzehnte aufgebaut hat.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umweltskandale ein Symptom der finanziellen Prioritätensetzung sind. Hätte Thames Water in den vergangenen 30 Jahren konsequenter investiert – sei es durch Reinvestition von Gewinnen oder durch ausreichendes Eigenkapital – wären viele Probleme (von Leckage bis Abwassereinleitung) heute geringer. Die öffentlichen Kosten dieser Versäumnisse zeigen sich nun in Form von Strafzahlungen, Aufräumkosten und dem Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Wasserversorgung.

Aktuelle Krise und Debatte um Re-Kommunalisierung

Im Sommer 2023 spitzte sich die Lage bei Thames Water dramatisch zu: Berichte machten die Runde, die Regierung halte sich bereit, das Unternehmen bei Zahlungsunfähigkeit unter staatliche Verwaltung („special administration“) zu stellen. Dies wäre faktisch eine temporäre Verstaatlichung, um die Versorgung aufrechtzuerhalten. Auslöser waren akute Finanzprobleme – insbesondere die Unsicherheit, ob die Eigentümer die nötige Kapitalerhöhung stemmen würden – sowie die zunehmende öffentliche Empörung über Umweltverstöße. Die Krise bei Thames Water wurde schnell zu einem Politikum: Sie gilt als Sinnbild für das Scheitern der britischen Privatisierungsstrategie im Infrastruktursektor.

Auf politischer Bühne entbrannte eine Debatte über Re-Kommunalisierung (Rückführung in öffentliches Eigentum). In der Opposition drängten vor allem einige Labour-Abgeordnete die Parteiführung, einen Kurswechsel zu vollziehen. Noch 2022 hatte die Labour-Spitze (Schattenfinanzministerin Rachel Reeves) erklärt, eine Verstaatlichung der Wasserbetriebe sei mit den haushaltspolitischen Regeln der Partei nicht finanzierbar und daher vom Programm gestrichen. Doch angesichts der Thames-Krise forderte eine Gruppe von Labour-MPs Ende Juni 2023, diese Entscheidung zu überdenken. Sie bezeichneten die Privatisierung als “Abzocke” (rip-off) und “Misserfolg für die Bürger”. John McDonnell erklärte: „Die Wasserprivatisierung war die größte Abzocke von allen. Es wurden Vermögen gemacht auf unsere Kosten, während der Service sich verschlechterte, die Tarife durch die Decke gingen, massive Schulden für Dividenden angehäuft wurden und unsere Flüsse und Meere verschmutzt wurden. […] Öffentliches Eigentum ist ab jetzt die einzig ernstzunehmende Option.”. Ähnlich äußerte sich die Abgeordnete Kate Osamor, in deren Wahlkreis Thames Water Versorger ist: „Seit Jahrzehnten hat Thames Water enorme Profite an Aktionäre weitergereicht und gleichzeitig versäumt zu investieren. Lecks und Abwasserkatastrophen sind auf einem Höchststand, und nun sollen meine Wähler in der Lebenshaltungskrise noch mehr bezahlen. […] Es reicht. Thames Water muss zurück in öffentliches Eigentum – ohne Entschädigung für die Aktionäre. Die britische Öffentlichkeit wurde lange genug ausgenommen.”. Solche Forderungen fanden viel Zuspruch in der Bevölkerung, die nach den Schlagzeilen der letzten Jahre wenig Sympathie für die Wasserkonzerne übrig hat.

Die offizielle Regierungslinie (2023 unter den Konservativen) war zurückhaltender. Finanzminister Jeremy Hunt erklärte, man beobachte die Situation genau, vermied aber Stellungnahmen zur Eigentumsfrage. Umweltministerin Thérèse Coffey sowie Ofwat betonten, der Versorger werde seine Verpflichtungen erfüllen, „was auch immer mit den Anteilseignern passiert“. Im Falle eines Kollaps von Thames Water würde das Instrument der Special Administration greifen: Der Staat führt den Betrieb fort, bis eine Neuordnung gefunden ist. Dieses Szenario ist de facto eine Auffang-Verstaatlichung für insolvente Versorger. Es wurde 2021 bereits einmal angewandt, als Southern Water nach einem ähnlichen Debakel teilverstaatlicht und mit Staatshilfe rekapitalisiert wurde (Southern Water musste von einem Rettungsfonds aufgefangen werden, allerdings behielt man private Eigentümer). Die Möglichkeit, Thames Water komplett und dauerhaft zu renationalisieren, wurde zwar in Medien und Öffentlichkeit diskutiert, von der Regierung jedoch (noch) nicht offiziell angestrebt.

Die Labour-Partei unter Keir Starmer blieb ebenfalls vorsichtig. Zwar kritisierte der Schatten-Umweltminister Jim McMahon im Parlament scharf die privatisierten Unternehmen, doch vermied die Parteispitze klare Zusagen zur Re-Kommunalisierung. Hinter den Kulissen wird offenbar mit dem Gedanken gespielt, neue Modelle einzuführen – z. B. kommunale oder genossenschaftliche Strukturen, oder ein streng reguliertes System mit „Public Interest“-Auflagen. Auch das Modell Wales wird diskutiert: In Wales gehört das Pendant Dŵr Cymru (Welsh Water) seit 2001 einer Non-Profit-Trust-Stiftung, die keine Dividenden zahlt und Überschüsse reinvestiert. Dieses Modell hat durchaus Erfolg vorzuweisen (stabile Finanzen, akzeptable Tarife). Ebenso wird auf Schottland verwiesen, wo das Wasser in öffentlicher Hand (Scottish Water) blieb. Scottish Water investierte laut Studien pro Haushalt rund 35 % mehr in die Infrastruktur als die englischen Unternehmen, bei gleichzeitig etwas geringeren Kundenrechnungen (ca. 7 % niedriger als in England). Die schottische öffentliche Wasserversorgung hat über die letzten zwei Jahrzehnte ebenfalls erhebliche Qualitätsverbesserungen erzielt, ohne Gewinne an private Dritte auszuschütten.

In der Summe fordern zahlreiche Stimmen – von Umweltverbänden über Verbraucherorganisationen bis hin zu Teilen des politischen Spektrums – eine grundlegende Reform oder Rückabwicklung der Privatisierung. Die Krise von Thames Water dient dabei als schlagkräftiges Argument: Sollte am Ende der Steuerzahler für die Schulden und die Sanierung eines jahrzehntelang profitabel privat betriebenen Konzerns einstehen müssen, erscheint vielen der Status quo unhaltbar. Selbst ehemals marktorientierte Beobachter räumen ein, dass die Privatisierung des Wassers „gescheitert“ sei. So schrieb beispielsweise Camilla Cavendish, ehemalige Beraterin von Premier David Cameron, 2022 es sei „Zeit zuzugeben, dass die Wasser-Privatisierung ein Fehlschlag war“. Entsprechend ist die Re-Kommunalisierung – einst ein Randthema – im Mainstream der Debatte angekommen. Allerdings stehen dem gewichtige Bedenken gegenüber, etwa die Frage der Entschädigungskosten: Die Branche hat einen hohen Buchwert (die Rede ist von £80–90 Mrd. bei vollständiger Verstaatlichung aller Anbieter. Manche Juristen argumentieren zwar, eine Übernahme ohne üppige Kompensation sei rechtlich möglich (Stichwort: Parlamentssouveränität und bereits abgegoltene Gewinne), doch politisch wäre ein solcher Schritt zweifellos heikel. Daher werden auch Zwischenlösungen erörtert, z. B. strengere Regulierung, Gewinnbeschränkungen, oder das Einführen öffentlicher Beteiligungen (etwa der staatlichen Entwicklungsbank) an den privaten Versorgern, um Mischmodelle zu schaffen.

Argumente der Privatisierungsbefürworter

Befürworter der Privatisierung verweisen auf nachweisliche Fortschritte in der Wasserwirtschaft seit 1989 und führen diese auf den Eintritt privater Unternehmen und Kapitalgeber zurück. Zu den Hauptargumenten zählen:

  • Höhere Investitionen und Infrastrukturverbesserungen: Nach Angaben des Branchenverbands Water UK flossen seit der Privatisierung nahezu £160 Mrd. in Investitionen in die englische Wasserinfrastruktur. Dies habe zu erheblichen Verbesserungen geführt. Beispielsweise: Die Trinkwasserqualität in England und Wales erreicht heute weltweit führende Standards. Undichtigkeiten wurden – trotz zuletzt wieder negativer Schlagzeilen – seit Mitte der 1990er um etwa ein Drittel reduziert. Vor allem aber sind die Abwasser- und Gewässerstandards gestiegen: Über zwei Drittel der Strände gelten nun als „ausgezeichnet“ sauber, gegenüber weniger als einem Drittel vor 25 Jahren. Flüsse wie die Themse, die einst biologisch tot waren, haben sich erholt und wieder einen Bestand an Fischen und anderen Lebewesen. Diese Errungenschaften werden direkt auf die erhöhten Investitionsmittel zurückgeführt, die durch privates Kapital mobilisiert wurden – Mittel, die einem klammen Staatssektor der 1980er nicht zur Verfügung standen.
  • Effizienz und Innovation: Private Unternehmen unterliegen dem Druck, effizient zu wirtschaften, um Gewinne zu erzielen. Unterstützer betonen, dass mit Hilfe der Ofwat-Regulierung ein künstlicher Wettbewerb („Benchmarking“) geschaffen wurde, der zu Produktivitätsgewinnen führte. Die Kostenstruktur habe sich verbessert und neue Technologien (etwa in der Leckerkennung oder Wasseraufbereitung) seien schneller eingeführt worden, als es in einer behäbigen Behördenstruktur möglich gewesen wäre. Auch betriebswirtschaftlich konnten die Unternehmen Profitabilität mit Innovationsprogrammen verbinden – z. B. in Programmen zur Reduktion von Rohrbrüchen oder kundenfreundlicheren Serviceprozessen.
  • Finanzielle Entlastung des Staates und stabile Preise: Ein Kernargument war und ist, dass die Privatisierung die öffentliche Hand von Investitionslasten entbunden hat. Anstatt Steuergeld aufzuwenden, konnten private Investoren die nötigen Milliarden bereitstellen – mitsamt dem Risiko, falls Projekte scheitern. Zudem seien die Wassergebühren dank Regulierung relativ stabil geblieben. Water UK hebt hervor, dass der Durchschnittshaushalt etwa £1 pro Tag für Wasser und Abwasser zahlt – inflationsbereinigt in etwa so viel wie vor 20 Jahren. Ohne die Effizienzgewinne der Privatisierung wären die Rechnungen laut Ofwat sogar um £120 pro Jahr höher ausgefallen. Die Unternehmen verweisen außerdem darauf, dass Kundenumfragen lange Zeit eine hohe Zufriedenheit (um 90 %) und Vertrauen in die Versorgung zeigten (allerdings hat dieses Vertrauen jüngst gelitten).
  • Erfüllung strenger Umweltauflagen: Die EU-Umweltstandards der 1990er (Trinkwasser, Badegewässer) wurden von Großbritannien fristgerecht erfüllt, wofür enorme Infrastrukturmaßnahmen (z. B. neue Kläranlagen, Verbesserung der Kanalisation) nötig waren. Privatisierungsbefürworter argumentieren, dass ohne den privaten Sektor diese Fristen kaum gehalten worden wären. Der Staat habe zuvor die Investitionen immer wieder verschoben; erst der marktwirtschaftliche Ansatz habe die Modernisierung forciert.
  • Flexibilität und Zugang zu Kapital: Private Unternehmen können am Kapitalmarkt Geld aufnehmen, Anleihen begeben und Partnerschaften eingehen, was in öffentlichen Haushalten mit starren Budgetregeln schwerfälliger wäre. Diese Flexibilität habe es ermöglicht, Großprojekte wie den Themse-Tunnel („Thames Tideway“) gegen Abwassereinleitungen anzugehen. Auch internationale Expertise (z. B. von spezialisierten Infrastruktur-Fonds) sei ins Land geflossen und habe die Unternehmen effizienter gemacht.
  • Robuste Regulierung statt Bürokratie: Schließlich wird betont, dass mit Ofwat, der Umweltbehörde und der Drinking Water Inspectorate gleich drei unabhängige Regulatoren streng auf die Einhaltung von Qualitäts- und Leistungsstandards achten. Dieses System unabhängiger Kontrolleure habe besser funktioniert als politische Ministerialverwaltung, da es langfristige Ziele setzen konnte, frei von Wahlzyklen. So seien klare Serviceverpflichtungen eingeführt worden (Leckreduktionsziele, Versorgungsunterbrechungs-Standards, etc.), die es vorher nicht gab.

Insgesamt lautet das Narrativ der Befürworter: Privatisierung hat die englische Wasserwirtschaft von einem maroden, unterfinanzierten Zustand zu einem moderneren, leistungsfähigeren System transformiert, auch wenn es Verbesserungsbedarf gibt. Viele Errungenschaften – von saubereren Stränden bis zu niedrigeren realen Preisen – seien ohne die Kombination aus privatem Kapital und regulatorischem Druck nicht möglich gewesen. Dementsprechend sehen sie in den aktuellen Problemen eher Managementfehler einzelner Firmen oder ein Update-Bedarf im Regulierungsrahmen, nicht aber einen Beleg dafür, dass öffentliches Eigentum per se besser wäre. Insbesondere warnen sie, eine überstürzte Re-Verstaatlichung könne zu hohen Kosten für den Steuerzahler führen und die Fortschritte der letzten 30 Jahre gefährden. Privatisierung könne weiterhin „für Wasser funktionieren“, wenn man die richtigen Lehren zieht und Anpassungen vornimmt.

Argumente der Privatisierungsgegner

Die Gegner der Privatisierung – darunter Verbraucherverbände, Umweltorganisationen, viele Politiker und Bürger – halten dem positiven Bild eine Reihe von strukturellen Problemen entgegen, die aus ihrer Sicht direkt aus der privatwirtschaftlichen Ausrichtung resultieren:

  • Profitorientierung zulasten von Investitionen: Das Hauptargument ist, dass private Eigentümer Gewinne maximieren wollen und daher tendenziell so wenig wie möglich investieren, insbesondere wenn regulatorischer Druck fehlt. Die Bilanz seit 1989 scheint dieses Muster zu bestätigen: Kein zusätzliches Eigenkapital floss ins System, stattdessen wurden £66–72 Mrd. an Dividenden entnommen, während die Schulden parallel stark anstiegen. Diese Mittelabflüsse bedeuten fehlendes Geld für Wartung und Ausbau. Gegner sprechen von „asset stripping“ – einer Ausplünderung der Substanz. Dass heute zig Milliarden nötig sind, um die Versäumnisse aufzuholen, werten sie als Beleg, dass Privatisierung systematisch Unterinvestment begünstigt hat. Anders als ein öffentliches Unternehmen haben private Wasserfirmen den Anreiz, Kosten zu sparen und Auszahlungen hoch zu halten, solange die Regulierung es zulässt. Thames Water gilt als extremes Beispiel: Hier wurde investiert „gerade genug, um die Auflagen zu erfüllen“, aber nie proaktiv für die Zukunft – was zu brüchigen Rohren und überlaufenden Kanälen geführt hat.
  • Exzessive Verschuldung und finanzielle Instabilität: Privatisierungsgegner kritisieren die übermäßige Verschuldung als direkte Folge des aktuellen Modells. Da alle Unternehmen 1989 schuldenfrei starteten, wäre es vermeidbar gewesen, dass sie sich derart verschulden. Doch durch finanzielle Ingenieurskunst (Holdingkonstrukte, Securitisation) wurden die Betriebe „auf Pump“ betrieben, um Shareholder-Returns zu hebeln. Nun sitzen die Firmen auf einem Schuldenberg (~£60 Mrd. insgesamt), der die Zukunftsfähigkeit bedroht. Thames Water ist hier mit ~£15 Mrd. führend. Die Gegner argumentieren, dass die öffentliche Hand letztlich als „Garantie“ im Hintergrund steht – sprich, wenn ein Versorger scheitert, muss der Staat einspringen (Too-big-to-fail-Phänomen). Somit wurden Profite privatisiert, aber Risiken sozialisiert. Dass nun eine Rettung auf Kosten der Steuerzahler im Raum steht, während frühere Investoren enorme Dividenden kassierten, empfinden viele als empörende Schieflage. Ein staatlicher Betreiber hätte nicht den Zwang, hoch zu hebeln; er könnte mit günstigeren öffentlichen Krediten arbeiten und langfristig planen, was solide Finanzen begünstigt.
  • Mangelnde Transparenz und demokratische Kontrolle: Durch die Auslandsbeteiligungen und Holdingstrukturen entzieht sich die Wasserwirtschaft teilweise der öffentlichen Kontrolle. Die Eigentümer und die Wege des Geldes sind „so undurchsichtig wie das Wasser in der Themse“ geworden. Gegner monieren, die lebenswichtige Ressource Wasser sei faktisch in Händen entfernt sitzender Konzerne, deren Prioritäten nicht die Daseinsvorsorge der lokalen Bevölkerung sind. Entscheidungen fallen hinter verschlossenen Türen der Boardrooms, ohne demokratische Legitimation. Bei öffentlichem Eigentum könnten hingegen lokale Behörden oder die Regierung direkt verantwortlich gemacht werden und wären dem Wähler rechenschaftspflichtig. So aber hätten britische Bürger „Besteuerung ohne Vertretung“ – ausländische Investoren schöpfen Rendite aus ihren Wasserrechnungen ab, ohne dass diese Investoren irgendeiner öffentlichen Kontrolle unterliegen.
  • Versagen beim Umweltschutz: Aus Sicht der Gegner zeigt insbesondere der Umweltschaden (millionenfache Abwasserkippungen, Verschmutzung von Flüssen) das Versagen der privatisierten Struktur. Die Firmen hätten keinen ausreichenden Anreiz zur Umweltvorsorge, da Investitionen in ökologische Maßnahmen sich erst langfristig auszahlen und kurzfristig die Gewinne schmälern. Die Serie an Umweltverstößen – oft nur mit vergleichsweise geringen Bußgeldern geahndet – belege, dass Profitorientierung und nachhaltige Wasserbewirtschaftung in Konflikt geraten sind. Ein öffentliches Unternehmen könnte hier klare Vorgaben aus Politik und Gesellschaft umsetzen, selbst wenn sie kurzfristig kostspielig sind, da es keinen Renditedruck gäbe.
  • Benachteiligung der Verbraucher: Trotz regulatorischer Eingriffe seien die Interessen der Verbraucher letztlich untergeordnet geblieben, argumentieren die Kritiker. Sie verweisen darauf, dass 20 % der Kundenbeiträge nicht ins System reinvestiert, sondern für Zinsen und Dividenden ausgegeben werden. Dieses „Absaugen“ der Zahlungen führe dazu, dass die Kunden perspektivisch zweifach zahlen: einmal die Gebühren, aus denen Gewinne gezahlt werden, und dann nochmals über höhere Gebühren oder Steuern für die nun notwendigen Sanierungen. Die jüngsten Ankündigungen, dass die Wasserpreise um ein Drittel bis fast die Hälfte steigen könnten, um die maroden Netze zu fixieren, bestätigen diese Sorge. Gegner sehen hier einen Systemfehler, da das Monopolgut Wasser sich nicht wirklich über Wettbewerb regulieren lässt und die Verbraucher letztlich die Zeche für die versäumten Investitionen zahlen, die aufgrund der Privatisierungslogik entstanden.
  • Internationaler Vergleich – öffentliche Alternativen erfolgreicher: Als empirisches Argument führen Kritiker gern Schottland und Wales an: In Schottland (public Scottish Water) und via Not-for-Profit in Wales wurden mehr investiert und geringere Schulden gemacht, bei moderaten Preisen. Weltweit sind über 90 % der Wasserunternehmen in öffentlicher Hand, oft erfolgreich. England sei ein radikaler Ausreißer mit 100 % privatisierten Wasserunternehmen. Viele dieser internationalen öffentlichen Betreiber zeigen, dass gute Versorgung und Umweltschutz ohne Privatgewinnstreben machbar sind, so die Gegner. Gerade die Rückschau in England selbst: Vor Privatisierung mag es Probleme gegeben haben, aber kein anderes Land der Welt hat diese radikale Form der Wasserprivatisierung gewählt, was aus Sicht der Kritiker zeigt, dass es unklug war.

Insgesamt zeichnen die Privatisierungsgegner das Bild eines systemischen Versagens: “Der Zweck [der privaten Wasserfirmen] war tatsächlich Profitmaximierung – es wäre naiv, etwas anderes zu erwarten”, schrieb der Oxford-Ökonom Dieter Helm resümierend nach 30 Jahren. Hohe Verschuldung, hohe Gewinne und Investitionen deutlich unter dem, was möglich gewesen wäre, so Helm, seien die traurige Realität der letzten Jahrzehnte. Die Privatisierung habe somit ihr zentrales Versprechen – mehr Investitionen und Effizienz zum Wohle der Kundennicht eingelöst, sondern perverse Anreize gesetzt, die England nun teuer zu stehen kommen. Daher plädieren Gegner für eine grundlegende Neuausrichtung: entweder durch Rückführung in Gemeineigentum oder durch so strikte Regulierung, dass die Unternehmen faktisch wie öffentliche Dienstleister funktionieren müssen.

Fazit: Systemische Probleme durch Privatisierung oder auch unter staatlicher Führung möglich?

Die Analyse zeigt, dass viele der heutigen Probleme von Thames Water eng mit der Privatisierungsstruktur und den Anreizmechanismen des aktuellen Systems verknüpft sind. Decades of underinvestment and high leverage – Jahrzehnte der Unterinvestition und Überverschuldung – lassen sich direkt auf Entscheidungen zurückführen, die im Kontext privatwirtschaftlicher Renditeorientierung getroffen wurden. Die Dividenden-Maximierung durch Schuldenaufnahme, die Vernachlässigung der Infrastruktur und die komplexe Holdingstruktur zum Zweck der Gewinnabschöpfung sind charakteristische Phänomene privatisierter Versorger in einem unzureichend regulierten Umfeld.

Insbesondere die Erfahrung unter Macquarie (2006–2017) – als Thames Waters Verschuldung explodierte und Dividenden in Milliardenhöhe flossen – verdeutlicht, wie ein privater Eigentümer die Freiheiten des Systems zu kurzfristiger Gewinnmaximierung nutzen konnte. Strukturelle Aufsichtsfehler von Ofwat (zu geringe Eingriffe in Verschuldung und Ausschüttungen) begünstigten dies und wurzeln teilweise im regulatorischen Design, das Renditen garantieren soll. Diese systemischen Rahmenbedingungen sind ein direktes Resultat der gewählten Privatisierungsarchitektur. Es erscheint deshalb plausibel zu sagen, dass die strukturellen Probleme von Thames Water systemisch mit der Privatisierung zusammenhängen.

Allerdings ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Einige Kernfragen bleiben: Hätten vergleichbare Schwierigkeiten auch unter staatlicher Führung entstehen können? Hier gibt es zwei Perspektiven:

1. Gegenargument – auch öffentliches Management hätte Probleme gehabt: Befürworter der Privatisierung betonen, dass die öffentliche Hand vor 1989 das System jahrzehntelang unterfinanziert hatte. Der Staat hätte womöglich die nötigen Milliardeninvestitionen der 1990er und 2000er nicht bereitgestellt, da politische Prioritäten anders lagen (Gesundheit, Bildung, etc.). In diesem Szenario wären die Infrastrukturen ebenfalls veraltet, nur aus einem anderen Grund: nämlich Haushaltskürzungen statt Dividendenausschüttungen. Man kann argumentieren, dass ohne Privatisierung viele Umweltfortschritte (saubere Strände, EU-Standards) nicht erreicht worden wären oder erst viel später. Ferner ist nicht auszuschließen, dass ein staatlicher Betrieb ineffizient gewesen wäre – bekannte Probleme wie behäbige Bürokratie oder fehlende Innovationsanreize hätten die Kosten in die Höhe getrieben. Auch unter öffentlicher Führung hätte man womöglich Kredit aufnehmen müssen, was – ohne disziplinierende Wirkung von Kapitalmarkt und Regulator – zu anderer Art von Ineffizienzen führen könnte. Kurz: Nicht alle Probleme ließen sich durch ein einfaches „staatlich vs. privat“ auflösen, manche könnten inhärent an der Aufgabe liegen (etwa die Herausforderung alter Netze und Klimawandel).

2. Hauptargument – die Art der Probleme ist spezifisch für die Privatstruktur: Die gewaltige Schuldenblase und die Entnahme von Eigenkapital im großen Stil sind Phänomene, die in einem öffentlichen System kaum auftreten. Ein staatlicher Versorger hätte keine Dividenden an externe Anteilseigner zahlen müssen – jeder erwirtschaftete Überschuss hätte im Unternehmen bleiben oder an die Kunden (als niedrigere Preise) zurückgegeben werden können. Die Zinsbelastung wäre geringer ausgefallen, da der Staat sich im Allgemeinen günstiger refinanzieren kann als privates Kapital. Und sofern die Politik entschlossen gewesen wäre, Umweltschutzziele zu verfolgen, hätte ein öffentlicher Betrieb diese mittels klarer Vorgaben umsetzen können, ohne auf Rendite achten zu müssen. Tatsächlich zeigt der Vergleich mit Schottland, dass ein öffentliches Unternehmen mehr pro Kunde investiert und dennoch günstiger arbeitet (dank Wegfall privater Profitmargen). Das weist darauf hin, dass viele der heutigen Schwierigkeiten – etwa marode Infrastruktur durch Unterinvestment – in der spezifischen Ausgestaltung der privaten Eigentümerschaft wurzeln. Es ist schwer vorstellbar, dass ein staatlicher Thames Water ebenfalls £15 Mrd. Schulden angehäuft hätte, um das Geld an Investoren auszuschütten, oder dass es dieselbe Intransparenz in der Mittelverwendung gäbe. Zudem sind die englischen Wasserprobleme in ihrer Ausprägung international ziemlich einzigartig, was darauf hindeutet, dass das Modell selbst problematisch ist: Andere Länder mit öffentlichem Wassersektor kennen in diesem Umfang weder die Finanzierungslücken noch den Grad an Umweltverstößen, der in England zu beobachten war.

Fazitend lässt sich sagen: Die aktuellen strukturellen Probleme von Thames Water hängen größtenteils systemisch mit der Privatisierung zusammen. Das Modell hat erhebliche Fehlanreize geschaffen – Investoren konnten Gewinne priorisieren und Risiken abwälzen –, und die Regulierung hat diese Lücken zu lange bestehen lassen. Unter staatlicher Führung wären manche spezifische Probleme (wie extreme Schulden für Dividenden) sehr wahrscheinlich nicht entstanden. Allerdings heißt das nicht, dass ein staatlicher Betrieb automatisch erfolgreich gewesen wäre: Die Ausgangslage vor Privatisierung war ja gerade unbefriedigend. Es ist denkbar, dass es auch in öffentlicher Hand Herausforderungen gegeben hätte, etwa Finanzierungsknappheit oder politische Kurzsichtigkeit.

Der entscheidende Unterschied liegt jedoch darin, dass im öffentlichen Modell Gewinne nicht abfließen und demokratische Kontrolle direkter greift. Selbst wenn es Schwierigkeiten gäbe, würden deren Ursachen anders gelagert sein (z. B. allgemeine Budgetknappheit statt gezielter Gewinnausschüttung). Die englische Wasserprivatisierung erscheint in der Rückschau als systemisches Experiment, bei dem öffentliche Monopole Investoren überlassen wurden in der Hoffnung, Marktmechanismen würden für Effizienz und Investitionen sorgen. Dieses Experiment hat zwar anfangs einige Verbesserungen gebracht, aber zugleich ein Umfeld geschaffen, in dem kurzfristige Renditeinteressen die langfristige Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit unterminiert haben.

Inzwischen wächst parteiübergreifend die Erkenntnis, dass Korrekturen unumgänglich sind – sei es durch strengere Regulierung, neue Eigentumsformen oder vollständige Re-Kommunalisierung. Die Probleme von Thames Water und anderen privaten Wasserversorgern sind nicht bloß individuelles Missmanagement, sondern weisen auf systemische Konstruktionsfehler hin. Es spricht vieles dafür, dass diese Fehler unter öffentlicher Führung in dieser Form nicht aufgetreten wären, auch wenn staatliche Betriebe natürlich ihre eigenen Risiken bergen.

Letztlich ist die Wasserversorgung ein natürliches Monopol und ein essenzielles öffentliches Gut, bei dem die Mechanismen des freien Marktes nur eingeschränkt greifen. Die Krise von Thames Water zeigt exemplarisch, dass die Privatisierung ohne ausreichende Leitplanken zu Ergebnissen führen kann, die weder wirtschaftlich nachhaltig noch gesellschaftlich akzeptabel sind. Die Lehre daraus könnte sein, dass strukturierte öffentliche Verantwortung – ob durch starke Regulierung oder öffentliches Eigentum – für die Wasserwirtschaft notwendig ist, um zugleich Investitionen, Umweltschutz und Kundeninteressen langfristig in Einklang zu bringen.

Differenziert betrachtet mag die Privatisierung also nicht alleiniger Ursprung jeder Herausforderung sein, aber sie hat ein System geformt, in dem sich Probleme potenziert haben, die in gemeinwohlorientierten Strukturen zumindest abgemildert würden. Die aktuellen Debatten um Re-Kommunalisierung und Reform signalisieren, dass ein Kurswechsel erwogen wird, um die strukturellen Weichen anders zu stellen – im Sinne einer zukunftsfähigen, transparenten und bürgerorientierten Wasserwirtschaft.

Quellen: Die Analyse stützt sich auf Berichte aus Wirtschafts- und Fachpresse (u.a. The Guardian, Reuters, Bloomberg), Veröffentlichungen der Regulierungsbehörde Ofwat und des Branchenverbands Water UK, sowie Studien und Einschätzungen von Forschungseinrichtungen (University of Greenwich) und Think-Tanks (z.B. Common Wealth). Diese vielfältigen Quellen zeichnen ein konsistentes Bild der Entwicklungen und Probleme bei Thames Water seit der Privatisierung, das in vorstehendem Bericht zusammengefasst wurde. Sämtliche Daten und Zitate sind den angegebenen Quellen entnommen und belegt.