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Diskussion ist eröffnet: Pflegeeinrichtungen zurück in die öffentliche Hand

Pflege geht alle an – und wird doch immer wieder zur Streitfrage zwischen privaten Trägern, Wohlfahrtsverbänden und der öffentlichen Hand. Im Kommunalwahlkampf 2025 in Nordrhein-Westfalen spielte das Thema eine Rolle, unter anderem in Duisburg.

Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels, des Fachkräftemangels und steigender Pflegekosten gewinnt eine alte Frage neue Aktualität: Sollen Pflegeeinrichtungen wieder stärker in kommunaler Trägerschaft betrieben werden? Oder bleibt die Versorgung bei freien und privaten Trägern besser aufgehoben?

Die Lage heute: Freie Träger dominieren

In Deutschland liegt der Großteil der stationären Pflegeeinrichtungen in der Hand freigemeinnütziger oder privatwirtschaftlicher Träger. Kommunen spielen als Betreiber eine immer kleinere Rolle. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren 2023 nur noch etwa 5  Prozent aller Pflegeheime in öffentlicher Hand – Tendenz weiter sinkend.

Diese Entwicklung hat historische Gründe: Viele Städte haben sich in den 1990er- und 2000er-Jahren aus Kostengründen aus der aktiven Trägerschaft zurückgezogen. Stattdessen vergaben sie die Leistungserbringung an freie Anbieter – oft mit dem Argument, dass diese günstiger, flexibler und spezialisierter arbeiten können.

Das Argument für die Rekommunalisierung

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die einen Wiedereinstieg der Kommunen in die Trägerschaft von Pflegeeinrichtungen fordern. Die Argumente:

  • Daseinsvorsorge sichern: Pflege wird durch den demografischen Wandel stärker als Teil der öffentlichen Grundversorgung verstanden – vergleichbar mit Wasser, Abfall oder ÖPNV. Eine kommunale Einrichtung könne garantieren, dass niemand aus Kostengründen abgewiesen wird.
  • Transparenz und Kontrolle: Öffentliche Träger unterliegen politischer Kontrolle und können sozialverträglich handeln – etwa bei Eigenanteilen oder Personalschlüsseln.
  • Gegensteuerung bei Marktversagen: In manchen Regionen ziehen sich private Anbieter zurück, weil sich der Betrieb nicht mehr lohnt. Eine Kommune kann in solchen Fällen einspringen – auch ohne Gewinnerzielungsabsicht.
  • Fachkräfte langfristig binden: Kommunale Arbeitgeber gelten oft als verlässlicher und tarifgebundener – was die Attraktivität in einem umkämpften Arbeitsmarkt steigern kann.
  • Finanzielle Kontrolle: Überschüsse verbleiben in der Einrichtung und werden wieder für die Pflegequalität eingesetzt, statt als Gewinne an private Eigentümer abzufließen.
  • Steuernde und koordinierende Funktion: Kommunen können die Angebote gezielt steuern und den lokalen Bedarf realistisch und passgenau abdecken.

Die Sicht der Kritiker

Gegner einer Rekommunalisierung verweisen hingegen auf die Vorteile bestehender Trägermodelle:

  • Wahlfreiheit und Vielfalt: Der Mix aus Wohlfahrt, Kirche, Privatwirtschaft und Genossenschaften habe zu einer Vielzahl an Angeboten geführt – mit unterschiedlichen Schwerpunkten und innovativen Ansätzen.
  • Effizienz durch Spezialisierung: Private Träger können Kosten besser kalkulieren, neue Konzepte schneller umsetzen und zielgruppengerechter wirtschaften.
  • Haushaltsrisiken für Kommunen: Der Betrieb von Pflegeeinrichtungen bindet Personal, erfordert Investitionen und birgt langfristige Verpflichtungen – gerade für kleinere Städte ein Risiko.
  • Zuständigkeitsfragen: Pflege ist Aufgabe der sozialen Sicherungssysteme – insbesondere der Pflegeversicherung. Kritiker warnen davor, dass Kommunen durch eigene Einrichtungen Aufgaben übernehmen, für die sie finanziell nicht ausgestattet sind.
  • Effizienz und Bürokratie: Kritiker befürchten, dass eine Ausweitung der kommunalen Steuerung auch mit erhöhtem bürokratischen Aufwand und stärkeren Eingriffen in bestehende Strukturen einhergeht.

Beispiele: Kommunale Heime im Praxistest

Trotzdem gibt es Beispiele, in denen Kommunen gezielt Verantwortung übernehmen:

  • Hannover betreibt über die „Komm.Pflege gGmbH“ eigene Pflegeeinrichtungen und nutzt diese auch zur Fachkräftequalifizierung.
  • Freiburg hat 2022 beschlossen, wieder in kommunale Trägerschaft einzusteigen, nachdem private Betreiber sich aus Stadtteilen zurückzogen.
  • In ländlichen Regionen Bayerns übernehmen einzelne Gemeinden die Trägerschaft für Pflegewohngruppen, um Versorgungslücken zu schließen.

Ob Pflegeeinrichtungen kommunal betrieben werden sollen, ist keine rein ideologische Frage – sondern eine strategische Entscheidung in der Daseinsvorsorge. In Regionen mit ausreichendem Angebot und starken Trägern ist ein Rückzug der öffentlichen Hand vertretbar.

Doch wo Versorgungslücken drohen oder sich der Markt zurückzieht, kann kommunale Trägerschaft ein Instrument sein, um Stabilität, Fairness und Erreichbarkeit sicherzustellen. Die Diskussion ist eröffnet – und sie dürfte angesichts der alternden Bevölkerung an Fahrt aufnehmen.

Positionen von Verbänden und Experten

Der Bundesverband der kommunalen Senioren- und Behinderteneinrichtungen e.V. (BKSB) und weitere Fachverbände fordern, die Rolle der Kommunen als Leistungsträger zu stärken und Pflege wieder als öffentliche Aufgabe zu begreifen.

Neue gesetzliche Initiativen sehen eine zentrale Rolle der Kommunen bei Planung und Sicherung der Pflege vor, ohne private Anbieter auszuschließen.

Aktuelle bundespolitische Initiativen

Die Bundesregierung plant mit dem neuen Pflegekompetenzgesetz eine bundesweite Verbesserung der kommunalen Pflegestrukturplanung. Ziel ist, die Kompetenzen der Kommunen zu stärken und die Pflegeplanung erstmals verbindlich im Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu verankern. Eine entscheidende Rolle spielen dabei bessere Daten, Vernetzung und gezielte Angebotsentwicklung auf kommunaler Ebene, ohne den Markt komplett abzuschotten.

Der aktuelle Koalitionsvertrag 2025 (CDU, CSU, SPD) enthält ein breites Maßnahmenpaket zur großen Pflegereform, bei dem explizit die regionale und kommunale Pflege gestärkt werden soll. Die Regierung prüft die Rolle der Kommunen und deren Möglichkeiten zur Steuerung und Förderung der Pflegeangebote im Rahmen einer Bund-Länder-Kommission. Ergebnisse werden bis Ende 2025 erwartet.