Kaum ein politischer Stammtisch oder Talkshow-Abend kommt ohne den Vorwurf aus: Politiker könnten nicht mit Geld umgehen. Statt die hart erarbeiteten Steuermilliarden in wichtige Zukunftsprojekte zu stecken, würden die Mittel im Sozialstaat „versickern“ oder ins Ausland fließen.
Eine umfassende Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (VBW) hat nun erneut überprüft, ob an dieser Kritik etwas dran ist. Die Antwort fällt differenziert aus: Ja und nein.
Nein, weil die Bundesregierung in den vergangenen Jahren die Mittel für zentrale Zukunftsaufgaben wie Digitalisierung, Klimaschutz oder Forschung deutlich erhöht hat – entgegen allen Klischees. Und ja, weil nach wie vor ein erheblicher Anteil der eingeplanten Gelder gar nicht abgerufen wird und der Bundeshaushalt insgesamt von Sozialausgaben und Zinslasten dominiert bleibt.
Investitionen: Deutschland im europäischen Vergleich
Nach Berechnungen des IW gab der Bund 2023 rund 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung für öffentliche Investitionen aus. Im EU-Schnitt lag der Wert bei 3,6 Prozent, die skandinavischen Staaten kamen sogar auf 4,4 Prozent. Deutschland hinke damit trotz steigender Summen hinterher. „Eine echte Wende in der Haushaltspolitik“ sei notwendig, fordert daher die VBW. Der neue Regierungskurs müsse auf drei Säulen beruhen: sparen, investieren, reformieren.
Neue Perspektive auf den Haushalt
Für ihre Untersuchung haben die Kölner Ökonomen die üblichen Ressortgrenzen verlassen. Stattdessen bündelten sie die Ausgaben thematisch – unter Einbeziehung von Sonderfonds wie dem Klima- und Transformationsfonds (KTF). Denn vielfach werden Zukunftsaufgaben von mehreren Ministerien parallel finanziert.
Nach Definition des IW gehören zu den zentralen Zukunftsfeldern:
- Klimaschutz
- Digitalisierung
- Mobilität
- Bildung und Forschung
- Bauen und Wohnen
- Umweltschutz
Ergänzend berücksichtigt wurden auch Krisenbewältigung und Verteidigung.
Wo die Ausgaben steigen
Die Zahlen zeigen eindrucksvolle Verschiebungen:
- Digitalisierung: Zwischen 2018 und 2024 haben sich die Haushaltsmittel auf über zwölf Milliarden Euro verzwölffacht – ein Rekordzuwachs.
- Klimaschutz: 29 Milliarden Euro stehen 2024 zur Verfügung, fast fünfmal so viel wie vor sechs Jahren.
- Mobilität: Die Ausgaben steigen von 33 auf 56 Milliarden Euro, wobei vor allem die Schiene profitiert.
- Bauen und Wohnen: Plus 55 Prozent, allerdings auf niedrigem Niveau.
- Umweltschutz: Plus 32 Prozent.
- Bildung: Nur moderates Wachstum von 19,5 auf 22,5 Milliarden Euro. Im Verhältnis zum Gesamthaushalt sinkt der Anteil sogar.
Der Haken: Viel bleibt ungenutzt
Ein zentrales Problem ist, dass viele dieser Summen lediglich auf dem Papier existieren. Im Digitalbereich wurden 2021 und 2022 mehr als die Hälfte der vorgesehenen Gelder gar nicht ausgegeben. Erst 2023 sank die Lücke auf minus 37 Prozent. Auch bei Klimaschutzprojekten stockt die Umsetzung: Von 1,2 Milliarden Euro für die industrielle Dekarbonisierung wurden 2022 nur neun Millionen tatsächlich ausgezahlt – eine Realisierungsquote von 0,75 Prozent. Ähnliche Defizite gab es bei Bau- und Umweltschutzmaßnahmen.
Lediglich bei Verteidigung und Verkehrsprojekten liefen die Mittel weitgehend planmäßig ab. Experten führen das auf bessere Planung und klare Vergabestrukturen zurück.
Strukturelle Probleme bleiben
Trotz aller Steigerungen gibt der Bund weiterhin rund eineinhalbmal so viel für Personal und Zinsen aus wie für Sachinvestitionen. Kritiker bemängeln zudem, dass neue Programme oft mit bürokratischen Hürden überfrachtet werden. Dadurch verzögern sich Projekte, und die bereitgestellten Gelder können nicht sinnvoll eingesetzt werden.
Die VBW fordert deshalb eine „ehrliche Bestandsaufnahme“: Öffentliche Aufgaben müssten kritisch überprüft, Bürokratie abgebaut und Ausgaben stärker priorisiert werden. Nur ein Kurswechsel könne gewährleisten, dass Deutschland trotz demografischem Wandel finanziell handlungsfähig bleibe.
Blick nach vorn
Der Befund der IW-Studie ist widersprüchlich: Auf der einen Seite wächst das finanzielle Engagement in Zukunftsfeldern deutlich, auf der anderen Seite scheitert die Umsetzung viel zu oft an Strukturen, Prozessen und Prioritäten. Im internationalen Vergleich bleibt Deutschland damit zurück. Ob die neue Bundesregierung den Spagat schafft – Investitionen zu sichern und gleichzeitig den Etat zu stabilisieren – wird eine der zentralen Fragen der kommenden Jahre sein.