Im Sommer 2024 starteten die Ex-Minister Thomas de Maizière (CDU) und Peer Steinbrück (SPD) gemeinsam mit dem früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle sowie der Medienmanagerin Julia Jäkel die „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ – mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als Schirmherrn. Unterstützt wird das Projekt unter anderem von der Hertie School of Governance und mehreren Stiftungen, darunter Mercator und Zeit Bucerius.
Ziel der Initiative ist es, anhand von 30 bis 35 konkreten Reformempfehlungen Staat und Verwaltung in Deutschland effizienter, moderner und bürgernäher zu gestalten – etwa durch Entbürokratisierung, Föderalismusreform sowie digitale Modernisierung. Im März 2025 wurde ein Zwischenbericht mit elf thematischen Handlungsfeldern öffentlich vorgestellt, der als Diskussionsgrundlage dient. Der Abschlussbericht wurde am 14. Juli 2025 offiziell Bundespräsident Steinmeier übergeben – und enthält insgesamt 35 Maßnahmenvorschläge zur Staatsmodernisierung.
Die Vorschläge reichen über verschiedene zentrale Reformbereiche: Ein Ministerium für Digitales & Staatsmodernisierung soll als zentrale Instanz eingerichtet werden, Zuständigkeiten im Föderalismus klarer verteilt und Bürgerbeteiligung gestärkt werden. Zudem wird eine stärkere Rolle für strategische Infrastrukturfinanzierung empfohlen und ein stärkeres Vertrauen in Verwaltung und Gesetzgebung gefordert.
Die Initiatoren begründen die Initiative mit einem dramatischen Vertrauensverlust in staatliche Institutionen: Laut Umfragen fühlen sich fast 70 % der Bürgerinnen und Bürger überfordert vom Staat – was langfristig das Funktionieren der Demokratie gefährden könne. Der Ansatz: Aus vielen reformorientierten Experten aus Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft sollen durch klare Empfehlungen konkrete Modernisierungsimpulse erwachsen – begleitet von Dialogformaten mit Bürgerinnen und Bürgern.
Bundesminister Karsten Wildberger (Digitales und Staatsmodernisierung) formulierte bei der Vorstellung des Abschlussberichts im Juli 2025 das Leitbild: „Wir müssen neue Wege gehen. Gutes Staatshandeln muss wirksames Staatshandeln sein. Wir messen, was wirkt.“
Was Sie über die Initiative wissen sollten
- Wer?: Gegründet von de Maizière, Steinbrück, Voßkuhle und Jäkel – unter Schirmherrschaft von Bundespräsident Steinmeier.
- Was?: Die Initiative entwickelte gut 30 bis 35 Reformempfehlungen für einen handlungsfähigen Staat.
- Wo?: Zentrale Akteure in Berlin, koordiniert über die Hertie School, mit umfassender Beteiligung aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
- Wie?: Durch Zwischen- und Abschlussbericht, öffentliche Debatte und Beratung der Koalitionsverhandler.
- Warum?: Um das Vertrauen in Staat und Verwaltung zu stärken, Reformblockaden zu lösen und Deutschland wieder handlungsfähig zu machen.
Was steht im Zwischenbericht?
Der Zwischenbericht der „Initiative für einen handlungsfähigen Staat“ thematisiert die Rolle des Staates im 21. Jahrhundert und stellt 30 strukturpolitische Empfehlungen vor. Eine ausdrückliche Forderung nach Privatisierung staatlicher Leistungen findet sich darin nicht. Stattdessen setzt der Bericht auf Staatsmodernisierung, Effizienzsteigerung und strategische Partnerschaften – und nähert sich dem Thema Privatisierung eher implizit.
1. Public-Private Partnerships (ÖPP)
Am deutlichsten wird das Thema Privatisierung bzw. Teilprivatisierung im Kapitel „Wettbewerbsfähigkeit“, genauer in Empfehlung 15:
„Rahmenbedingungen & Expertise für Public Private Partnerships ausbauen“
Der Staat unterstützt mit langfristigen Verträgen und gezielten Förderprogrammen die Wachstumsphase deutscher Start-ups. Er beauftragt innovationsorientiert und risikobereit. Der Staat muss ein fähiger Auftraggeber für junge Unternehmen werden, die sich in der Wachstumsphase befinden. Dank einer engen Zusammenarbeit zwischen Start-ups und staatlichen Institutionen entsteht ein Wissenstransfer, der beiden Seiten zugutekommt.
Dies ist kein klassischer Privatisierungsaufruf, sondern ein Plädoyer für gezielte Kooperationen – insbesondere im Bereich Digitalisierung und Innovation. Es geht um einen strategischen Staat, der gezielt Aufträge an private Akteure vergibt, ohne sich seiner Verantwortung zu entziehen.
2. Digitalisierung und ausgelagerte Umsetzung
In Empfehlung 6 heißt es:
„Die Umsetzung digitaler Staatsprojekte erfolgt durch eine Digital-Agentur in Form einer GmbH in hundertprozentigem Staatsbesitz.“
Hier zeigt sich ein bewusst halbprivates Betriebsmodell: organisatorisch flexibel, aber in staatlicher Kontrolle. Diese Konstruktion deutet auf eine funktionale Privatisierung in Bereichen hin, wo Behördenstruktur als zu träge gilt – ohne eigentlichen Eigentumsübergang.
3. Entbürokratisierung und Vergabe
Mehrfach fordert der Bericht:
„Die öffentliche Beschaffung (über 300 Milliarden Euro jährlich) muss vereinfacht und digitalisiert werden“ (Empfehlung 14).
Es wird der Eindruck vermittelt, dass durch vereinfachte Vergabeprozesse und Anhebung der Schwellenwerte mehr Handlungsspielraum für den Staat und damit auch für die Einbindung privater Anbieter geschaffen werden soll.
4. Keine klassischen Privatisierungsforderungen
Der Bericht fordert nicht:
- die Übertragung von Staatsaufgaben an private Betreiber (wie Bahn, Schulen, Wasserwerke)
- den Verkauf öffentlicher Infrastruktur
- Outsourcing in sensiblen Bereichen wie Soziales, Sicherheit oder Bildung
Stattdessen steht der Staat als strategischer Akteur im Fokus, der effektiver mit der Privatwirtschaft kooperieren soll, ohne dabei Kontrolle oder Verantwortung aufzugeben.
Fazit: Keine pauschalen Privatisierungen
Der Zwischenbericht spricht sich nicht für eine pauschale Privatisierung staatlicher Dienstleistungen aus, sondern betont den handlungsfähigen Staat als strategischen Auftraggeber, der gezielt mit der Privatwirtschaft zusammenarbeitet. Modelle wie ÖPP und staatliche GmbHs werden als pragmatische Mittel betrachtet, um Effizienz, Geschwindigkeit und Innovationskraft zu erhöhen. Dabei bleibt die Forderung nach demokratischer Kontrolle und öffentlicher Verantwortung stets bestehen. Es handelt sich also eher um eine Modernisierung staatlicher Beschaffung und Umsetzung als um eine echte Privatisierungsagenda.