Meldungen

Wegen Altschuldenhilfegesetz von 1993: 400 Wohnungen stehen zum Verkauf

Die Potsdamer Wohnungsgenossenschaft Karl Marx will rund 400 Wohnungen aus ihrem Bestand veräußern. Betroffen sind ausschließlich Einheiten, die seit den 1990er-Jahren als Eigentumswohnungen ausgewiesen sind.

Hintergrund ist das Altschuldenhilfegesetz von 1993, das ostdeutsche Wohnungsunternehmen verpflichtete, einen Teil ihres Bestandes zu privatisieren.

Genossenschaft begründet Schritt mit Investitionsdruck

Nach Angaben des Vorstands sind in den kommenden Jahren umfangreiche Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen notwendig. Dazu gehören energetische Verbesserungen, neue Versorgungsstränge sowie altersgerechte Umbauten. Dafür seien zweistellige Millionenbeträge erforderlich. Die Genossenschaft erklärt, die Mittel stattdessen im verbleibenden Bestand einsetzen zu wollen, um dort langfristig bezahlbaren Wohnraum zu sichern.

Altschuldenhilfegesetz von 1993

Das Altschuldenhilfegesetz (AHG) von 1993 wurde nach der Wiedervereinigung verabschiedet, um ostdeutsche Wohnungsunternehmen (kommunale Wohnungsgesellschaften, Genossenschaften und einige private Vermieter) von ihren DDR-Altschulden zu entlasten. Diese „Altverbindlichkeiten“ stammten aus Krediten der DDR-Staatsbank für den Wohnungsbau, die nach 1990 auf die neuen Eigentümer (Kommunen und Genossenschaften) übergingen. Ohne Hilfe wären viele dieser Unternehmen finanziell überfordert gewesen, da ab 1994 Zins und Tilgung fällig geworden wären.

Das AHG bot daher finanzielle Entlastung in Form von Zinshilfen und teilweisem Schuldenerlass, knüpfte diese aber an klare Bedingungen: Die Wohnungsunternehmen mussten ihren Bestand zügig instand setzen und mindestens 15 % ihrer Wohnungen (nach Anzahl und Wohnfläche, Stichtag 1. Jan. 1993) privatisieren – im Falle von Genossenschaften bedeutete das den Verkauf dieser Wohnungen (idealerweise an die Mieter). Dieser Verkauf sollte ursprünglich bis Ende 1999 erfolgen. Die Maßnahme wurde von der Regierung auch damit begründet, individuelles Wohneigentum zu fördern.

Rückübertragungen an frühere Eigentümer (Restitution) wurden nicht auf die Quote angerechnet. Für die Unternehmen war dieser „Schuldenerlass gegen Wohnungsverkauf“ quasi eine Auflage zur finanziellen Sanierung: Rund die Hälfte der Altschulden wurde durch den Bund übernommen, aber den Rest sollten die Unternehmen durch Verkauf von Wohnungen und Mieteinnahmen selbst erwirtschaften.

Umsetzung der Privatisierungspflicht und Besonderheiten bei Genossenschaften

In der Praxis erwies sich die Privatisierungsquote von 15 % als große Herausforderung. Viele Mieter in Ostdeutschland konnten oder wollten ihre Wohnungen nicht kaufen, sodass die erhoffte Mieterprivatisierung weitgehend scheiterte. Um die Quote dennoch zu erfüllen, griff man zu Ausweichstrategien: Zum einen wurde der Zeitraum verlängert – letztlich konnten bis Ende 2003 Verkäufe angerechnet werden. Außerdem erlaubte eine Novelle im Jahr 2000, alternativ auch Abriss oder Rückbau leerstehender Wohnungen auf die 15 % Quote anzurechnen, falls ein Unternehmen unter massivem Wohnungsleerstand litt.

Zudem konnten Unternehmen, die die Verkaufsquote bis 2003 nicht erreichen würden, ersatzweise einen Ausgleichsbetrag an den Erblastentilgungsfonds zahlen. Dies bedeutete de facto, dass manche Gesellschaften anstelle von weiteren Verkäufen eine Zahlung leisteten, um aus der Verpflichtung entlassen zu werden.

Gerade für Wohnungsgenossenschaften gab es besondere Modelle. Traditionell können Genossenschaftsmitglieder ihre Wohnungen nicht als Eigentum erwerben, da der Bestand gemeinschaftlich gehört. Doch Mitte der 1990er wurde die „eigentumsorientierte Genossenschaft“ eingeführt, um Verkäufe zu ermöglichen. In Ostdeutschland stellten die meisten ehemaligen Arbeiterwohnungsgenossenschaften zwangsweise darauf um, um die 15 %-Privatisierungsquote des Altschuldenhilfegesetzes zu erfüllen. Die Genossenschaften mussten also einen Teil ihres Bestands in Eigentumswohnungen umwandeln (grundbuchlich in einzelne Wohnungen aufteilen) und ihren Mitgliedern den Kauf anbieten.

Wichtig ist, dass ein Verkauf vorrangig an die bisherigen Mieter erfolgen sollte – ein Verkauf an Dritte war rechtlich und praktisch oft schwierig, da Genossenschafts-Mitgliedern ein lebenslanges Wohnrecht zusteht. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1999 betonte sogar, dass aufgrund dieser besonderen Nutzungsverhältnisse ein Verkauf an außenstehende Dritte kaum in Betracht komme. Entsprechend konzentrierten sich die Genossenschaften auf Angebote an die eigenen Nutzer.

Viele Genossenschaften erreichten die Quote nur teilweise und standen vor der Frage, was mit den nicht verkauften, aber bereits in Eigentumsform umgewandelten Wohnungen geschehen sollte. Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied zwischen „ausweisen“ und „privatisieren“: Die Unternehmen mussten zwar 15 % des Bestands als verkaufsfähige Eigentumswohnungen ausweisen, aber ein tatsächlicher Verkauf hing von der Nachfrage ab. In vielen Fällen blieben etliche dieser ausgewiesenen Wohnungen im Genossenschaftsbesitz, weil die Mieter das Kaufangebot nicht annahmen. Dies galt als ausreichender Versuch, der Auflage nachzukommen, zumal ab 2000 die gesetzlichen Rahmenbedingungen gelockert wurden. Einige Genossenschaften zahlten auch den erwähnten Ausgleichsbetrag, um die Restverpflichtung abzulösen. Mit Erreichen der finanziellen Entlastung mussten dann keine weiteren Wohnungen mehr veräußert werden – die Verpflichtung war formal erfüllt.

Potsdamer Genossenschaft „Karl Marx“: Ausgewiesen, aber Jahrzehnte nicht verkauft

Ein Beispiel ist die Wohnungsgenossenschaft „Karl Marx“ Potsdam. Sie verfügte Anfang der 1990er über rund 7.500 Wohnungen und nahm am Altschuldenhilfe-Programm teil. Gemäß den Auflagen von 1993 musste sie etwa 15 % ihres Bestands (geplant waren 1.126 Wohnungen) in Eigentumswohnungen aufteilen und möglichst an die Nutzer verkaufen. Die Genossenschaft führte diese Umwandlung durch und begann mit dem Verkauf an Mitglieder. Bis 2001 wurden 777 Wohnungen an Genossenschaftsmitglieder verkauft, wodurch die Genossenschaft die zugesagte Altschuldenentlastung von 97 Millionen DM erreichte. Diese Teil-Privatisierung entsprach etwa 9,6 % ihres Wohnungsbestands – also rund zwei Drittel der ursprünglich geforderten Quote.

Dann kam es jedoch zu einer Änderung der gesetzlichen Vorgaben (Novellierung des AHG) um 2000. Aufgrund dieser Novelle musste die Genossenschaft den Verkaufsprozess nicht weiter vorantreiben – er wurde “gestoppt“, wie der Vorstand berichtet. Offenbar hatte die Genossenschaft genug getan (bzw. gegebenenfalls den Ausgleichsbetrag geleistet), um die Bedingungen des Programms zu erfüllen. Die restlichen 397 Wohnungen waren zwar bereits in Eigentumsform umgewandelt, wurden aber nicht an die Nutzer privatisiert und blieben im Bestand der Genossenschaft. Dadurch entstand eine Mischsituation: In denselben Häusern gab es bereits einige Einzeleigentümer (die Mitglieder, die ihre Wohnungen gekauft hatten), während die übrigen Wohnungen weiterhin der Genossenschaft gehörten und vermietet blieben. Diese Konstellation – eine Wohnungseigentümergemeinschaft aus der Genossenschaft plus einzelnen privaten Eigentümern – ist kompliziert, da die Genossenschaft dort nur begrenzte Stimmrechte hat und Investitionen immer mit den Miteigentümern abgestimmt werden müssen.

Erst jetzt, rund 30 Jahre später, hat sich die „Karl Marx“ Potsdam eG entschlossen, diese verbliebenen 397 Wohnungen tatsächlich zu verkaufen und damit den „Flickenteppich“ aufzulösen. Der Vorstand begründet diesen Schritt vor allem mit dem hohen Investitionsbedarf für Klimaschutz und Modernisierung: Man wolle die Erlöse und frei werdenden Mittel nutzen, um den übrigen Bestand (ca. 6.300 Wohnungen) zukunftsfähig und bezahlbar zu erhalten. Verkauft wird in sozialverträglichen Stufen – zunächst Leerwohnungen, dann an Mieter (bzw. deren Angehörige) und andere Genossenschaftsmitglieder; externe Investoren sollen nicht zum Zuge kommen. Dieses Beispiel zeigt, warum eine Genossenschaft zwar Wohnungen als privatisierungsfähig ausweisen musste, aber nicht sofort alle verkaufen musste: Die rechtlichen Vorgaben änderten sich, und nachdem ein großer Teil verkauft war und die Entlastung erzielt wurde, konnte die Genossenschaft den Restbestand weiterhin vermieten, bis eine eigene strategische Entscheidung – wie jetzt – zum Verkauf führte.

Weitere Fälle und aktueller Stand der Wohnungsprivatisierungen

Der Fall Potsdam ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Trends: Alle ostdeutschen Wohnungsunternehmen, nicht nur Genossenschaften, standen in den 1990ern vor dieser Privatisierungspflicht. Viele kommunale Wohnungsgesellschaften privatisierten ebenfalls rund 15 % ihres Bestandes – teils durch Verkauf einzelner Wohnungen an Mieter, teils durch Paketverkäufe an Investoren oder Zwischenerwerber-Modelle. So wurden beispielsweise Wohnungen an Treuhandgesellschaften oder neu gegründete Genossenschaften übertragen, um die Quote zu erfüllen, da die direkte Mieterprivatisierung hinter den Erwartungen zurückblieb. In Regionen mit schwacher Nachfrage war der Verkauf hingegen schwierig; dort griff man eher zu Abriss oder ließ die Frist verstreichen und zahlte den Ablösebetrag, weil kaum Käufer zu finden waren.

Insgesamt waren ostdeutschlandweit rund 364.000 Wohnungen von der AHG-Privatisierungspflicht betroffen. Bis Ende 2001 wurden davon etwa 277.000 Wohnungen tatsächlich veräußert, was rund 77 % der Vorgabe entspricht. In den Folgejahren stieg dieser Anteil noch weiter: Etwa 95 % der Wohnungsunternehmen konnten letztlich bestätigen, dass sie ihre Verpflichtungen aus dem Gesetz erfüllt haben. Damit war der größte Teil der alten Schuldproblematik formal abgewickelt. Zwangsprivatisierung? Kritiker bezeichneten die Maßnahme als „Zwangsprivatisierung“, weil Unternehmen faktisch gedrängt waren, öffentlichen oder genossenschaftlichen Wohnraum zu verkaufen. Die politischen Ziele wurden nur zum Teil erreicht: Zwar entstanden neue Privateigentümer, aber das Ziel, bevorzugt Mieter zu Wohnungseigentümern zu machen, wurde deutlich verfehlt. Vielerorts gingen die Wohnungen statt an einzelne Bewohner in größerer Zahl an finanzstarke Käufer – was langfristig auch zu Mietsteigerungen oder dem Verlust von bezahlbarem Wohnraum führte, eine heute noch spürbare Auswirkung.

Gibt es noch mehr solche Fälle wie Potsdam? – Ja, zahlreiche ostdeutsche Genossenschaften und kommunale Gesellschaften haben ähnliche Verläufe hinter sich. Einige Genossenschaften verkauften in den 1990ern einen Teil ihrer Wohnungen und ließen den Rest zunächst im Bestand. Beispielsweise vermeldete die Berliner Genossenschaft Humboldt-Universität e.G., dass sie nach Erreichen der Entlastungsauflage 2001 keine weiteren Wohnungen mehr verkaufen musste. Andere – gerade kommunale Unternehmen in schrumpfenden Regionen – setzten eher auf Abrissförderprogramme in den 2000ern, um überschüssigen Leerstand abzubauen, was von späteren Verordnungen auch anerkannt wurde. In gesamtstädtischen Lagen (etwa in Ost-Berlin, Leipzig, Dresden) wurden viele Wohnungen privatisiert; in ländlichen Räumen blieb oft ein Rest an Altschulden und schwer verkäuflichen Wohnungen. Noch 2019 wurde berichtet, dass ostdeutsche Wohnungsunternehmen zusammen rund 4 Milliarden Euro an alten Wohnungsbau-Schulden tragen, weil sich insbesondere in strukturschwachen Gegenden Verkäufe und Tilgung schwierig gestalteten. Deshalb fordern Branchenvertreter bis heute weitere Entlastungen für diese Altschulden, um Investitionen in den Wohnungsbestand nicht zu hemmen.

Aktueller Stand: Das Altschuldenhilfe-Programm ist seit Ende 2003 abgeschlossen – neue Verpflichtungen gibt es nicht mehr. Die meisten Wohnungsunternehmen haben die 15 %-Privatisierung entweder umgesetzt oder auf anderem Wege (Abriss, Ausgleichszahlung) abgerechnet, sodass sie aus der Berichtspflicht entlassen wurden. Heutige Diskussionen drehen sich eher um Rekapitalisierung, Rückkauf und Erhalt von bezahlbarem Wohnraum. Der Fall der Potsdamer Genossenschaft „Karl Marx“ zeigt allerdings, dass die Nachwirkungen des AHG noch Jahrzehnte später spürbar sind. Dort werden die einst ausgewiesenen Eigentumswohnungen nun – nach langen Jahren des Wartens – doch verkauft, wenn auch unter sozialverträglichen Bedingungen. Auch andere Genossenschaften schauen heute kritisch auf die Eigentumsorientierung der 90er: In Berlin haben einige begonnen, jene Passagen in ihren Satzungen zu streichen, um wieder klar auf Kollektiveigentum zu setzen.

Fazit: Das Altschuldenhilfegesetz von 1993 hat in Ostdeutschland einerseits viele Wohnungsunternehmen finanziell entlastet und Modernisierungen ermöglicht, andererseits zu einer erzwungenen Teil-Privatisierung des Wohnungsbestands geführt. Genossenschaften wie die in Potsdam mussten Wohnungen zum Verkauf bereitstellen, ohne sie sofort veräußern zu können oder zu müssen – ein Spagat zwischen Gesetzesauflage und realer Nachfrage. Viele dieser Wohnungen wurden letztlich doch nicht an die ersten Zielgruppen (Mieter) verkauft, sondern verblieben lange in den Händen der Unternehmen oder gingen an Investoren. Weitere Fälle finden sich in nahezu allen neuen Bundesländern, da die 15 %-Quote überall galt. Heute sind die unmittelbaren Verpflichtungen aus dem AHG erfüllt, doch das Erbe dieser Politik zeigt sich weiterhin: in der Eigentümerstruktur ostdeutscher Wohnungen, im noch vorhandenen Rest von Altschulden und in der Erfahrung, wie schwierig die Schaffung von Wohneigentum durch Verkaufsauflagen tatsächlich war.